1. Juni 2023
Von der Beliebigkeit des Personenstandswechsels zur Grundrechtskollision (s. Stellungnahme I.3)
Ein einfaches Gesetz zum Schutz des Persönlichkeitsrechts von Personen mit abweichender „Geschlechtsidentität“ nach Art. 2 Abs. (1) in Verbindung mit Art. 1 Abs. (1) kann nicht die verfassungsrechtlich geschützten Rechte von Frauen und Mädchen aushebeln, ohne selbst gegen das Grundgesetz zu verstoßen.
Erforderlich wäre eine Ausbalancierung der Grundrechte von Personen mit abweichender Geschlechtsidentität (bisher: Transsexuellen) nach Art. 2 Abs. (1) in Verbindung mit Art. 1 Abs. (1) GG einerseits mit dem Grundrecht von Frauen und Mädchen nach Art. 3 Abs. (2) GG auf Gleichberechtigung und besonderen Diskriminierungsschutz andererseits. Konkurrierende Grundrechte müssen jedenfalls – nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz – so in Übereinstimmung gebracht werden, dass sie jeweils ihre maximale Wirkung entfalten können (Prinzip der Einheit der Verfassung).
Die AutorInnen des Referentenentwurfs werden nicht müde, zu beteuern, der jeweils aktuelle Geschlechtseintrag im Personenstandsregister sei etwa bei Regelungen relevant, die das Ziel verfolgen, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu verwirklichen. Wenn es dann aber konkreter wird, nämlich bei den Rechtsfolgen der Änderung des Geschlechtseintrags, bleiben die Ausführungen in der Gesetzesbegründung ausnahmslos vage: Bei geschlechtsspezifischen Räumen und gesellschaftlicher Teilhabe für Frauen und Mädchen wird entweder auf das Hausrecht, die Länder oder private Sportverbände verwiesen, bei Frauenparklätzen interessanterweise auf das Strafrecht als Schutz. Dieses wäre aber bei Tätern mit beliebigem Geschlechtswechsel nicht mehr passend. Kurzum: Die „Öffnungsklausel“ in § 6 Abs. 1 (der Geschlechtseintrag ist maßgeblich, soweit nichts anderes durch Gesetz bestimmt ist) bedeutet, dass der Wechsel des Geschlechtseintrags hinsichtlich der Folgen „dem freien Spiel der Kräfte“ überlassen bleiben soll. Das öffnet dem dominierenden (männlichen) Geschlecht Tür und Tor, die Rechte von Frauen und Mädchen auf ihre mühsam errungenen Schutz- und autonomen Räume sowie ihre gesellschaftliche Teilhabe (z.B. Sport, geschlechtergerechte Medizin, geschlechtsspezifische Statistiken) auszuhöhlen. Dies ist strikt abzulehnen, da es die Rechte von Frauen und Mädchen aus Art. 2 Abs. (2) -Recht auf psychische und körperliche Unversehrtheit- und 3 Abs. (2) -Gleichberechtigung von Männern und Frauen- gefährdet. Im Übrigen verstößt dieses gesetzgeberische Untätigbleiben gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot, da die Legislative bei der Ausbalancierung von Grundrechten dazu verpflichtet ist, die notwendigen Regelungen selbst zu treffen und nicht auf andere Gewalten abzuschieben.
Die AutorInnen des Referentenentwurfs setzen trotz der rechtlich ungesicherten Ausgangsposition Geschlecht mit „Geschlechtsidentität“ gleich, indem die gesetzlichen Hürden für den Wechsel des Geschlechtseintrags für jedefrau und jedermann mit einer behaupteten „abweichenden Geschlechtsidentität“ beseitigt werden.
Dies impliziert:
Die absehbaren Folgen für Frauen sowie Eingriffe in die Rechte von Eltern und die drakonischen Bußgeldandrohungen für Alle bei Verletzung des Offenbarungsverbots sind gravierend:
Empfehlung:
Wie geht es mit dem Gesetzgebungsprozess weiter?
Nach dem Ablauf der Verbändeanhörung am 30.05.2023 und ihrer Auswertung durch die beteiligten Bundesministerien (BMFSFJ, BMJ) wird der Referentenentwurf an die Bundesregierung weitergeleitet. Das Kabinett fasst (mit oder ohne Änderungen) einen Beschluss und legt den Gesetzentwurf der Bundesregierung dem Bundestag vor. Nach der ersten Lesung verweist der Bundestag den Gesetzentwurf an die zuständigen Ausschüsse (Familie/Senioren/Frauen/Jugend und Recht), die nach entsprechenden Anhörungsverfahren mit ExpertInnen jeweils einen Beschluss fassen und ihn dem Bundestag mit entsprechenden Empfehlungen für die 2. und 3. Lesung weiterleiten. Am Ende der Debatten erfolgt die Abstimmung über den Gesetzentwurf im Bundestag. Im Fall einer mehrheitlichen Abstimmung für das Gesetz wird es an den Bundesrat zur Stellungnahme und sodann an den Bundespräsidenten weitergeleitet, der das Gesetz unterzeichnet, wenn er keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat. Nach seiner Veröffentlichung im Bundesanzeiger tritt es in Kraft.
Der Zeithorizont für das Gesetzgebungsprocedere ist offen.
Autorin: Gunda Schumann © Rechtsanwältin, Ass. Jur., LL.M.eur., M.C.J., Dipl. Soz.