1. Juni 2023

Stellungnahme LAZ reloaded e.V. zum Referentenentwurf des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und des Bundesministeriums der Justiz vom 09. Mai 2023

  1. Verfassungsrechtliche Aspekte

Von der Beliebigkeit des Personenstandswechsels zur Grundrechtskollision (s. Stellungnahme I.3)

Ein einfaches Gesetz zum Schutz des Persönlichkeitsrechts von Personen mit abweichender „Geschlechtsidentität“ nach Art. 2 Abs. (1) in Verbindung mit Art. 1 Abs. (1) kann nicht die verfassungsrechtlich geschützten Rechte von Frauen und Mädchen aushebeln, ohne selbst gegen das Grundgesetz zu verstoßen.

Erforderlich wäre eine Ausbalancierung der Grundrechte von Personen mit abweichender Geschlechtsidentität (bisher: Transsexuellen) nach Art. 2 Abs. (1) in Verbindung mit Art. 1 Abs. (1) GG einerseits mit dem Grundrecht von Frauen und Mädchen nach Art. 3 Abs. (2) GG auf Gleichberechtigung und besonderen Diskriminierungsschutz andererseits. Konkurrierende Grundrechte müssen jedenfalls – nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz – so in Übereinstimmung gebracht werden, dass sie jeweils ihre maximale Wirkung entfalten können (Prinzip der Einheit der Verfassung).

  1. Auswirkungen des Geschlechtseintragswechsels auf Frauen, insbesondere Lesben

     Wirkungen der Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen (s. Stellungnahme II. § 6)

Die AutorInnen des Referentenentwurfs werden nicht müde, zu beteuern, der jeweils aktuelle Geschlechtseintrag im Personenstandsregister sei etwa bei Regelungen relevant, die das Ziel verfolgen, die Gleichstellung von Frauen und Männern zu verwirklichen. Wenn es dann aber konkreter wird, nämlich bei den Rechtsfolgen der Änderung des Geschlechtseintrags, bleiben die Ausführungen in der Gesetzesbegründung ausnahmslos vage: Bei geschlechtsspezifischen Räumen und gesellschaftlicher Teilhabe für Frauen und Mädchen wird entweder auf das Hausrecht, die Länder oder private Sportverbände verwiesen, bei Frauenparklätzen interessanterweise auf das Strafrecht als Schutz. Dieses wäre aber bei Tätern mit beliebigem Geschlechtswechsel nicht mehr passend. Kurzum: Die „Öffnungsklausel“ in § 6 Abs. 1 (der Geschlechtseintrag ist maßgeblich, soweit nichts anderes durch Gesetz bestimmt ist) bedeutet, dass der Wechsel des Geschlechtseintrags hinsichtlich der Folgen „dem freien Spiel der Kräfte“ überlassen bleiben soll. Das öffnet dem dominierenden (männlichen) Geschlecht Tür und Tor, die Rechte von Frauen und Mädchen auf ihre mühsam errungenen Schutz- und autonomen Räume sowie ihre gesellschaftliche Teilhabe (z.B. Sport, geschlechtergerechte Medizin, geschlechtsspezifische Statistiken) auszuhöhlen. Dies ist strikt abzulehnen, da es die Rechte von Frauen und Mädchen aus Art. 2 Abs. (2) -Recht auf psychische und körperliche Unversehrtheit- und 3 Abs. (2) -Gleichberechtigung von Männern und Frauen- gefährdet. Im Übrigen verstößt dieses gesetzgeberische Untätigbleiben gegen das Rechtsstaatsprinzip und das Demokratiegebot, da die Legislative bei der Ausbalancierung von Grundrechten dazu verpflichtet ist, die notwendigen Regelungen selbst zu treffen und nicht auf andere Gewalten abzuschieben.

  1. Unser Fazit (s. Stellungnahme III. Gesamtwürdigung)

Die AutorInnen des Referentenentwurfs setzen trotz der rechtlich ungesicherten Ausgangsposition Geschlecht mit „Geschlechtsidentität“ gleich, indem die gesetzlichen Hürden für den Wechsel des Geschlechtseintrags für jedefrau und jedermann mit einer behaupteten „abweichenden Geschlechtsidentität“ beseitigt werden.

Dies impliziert:

  • Die Verwendung der kaum abgrenzbaren unbestimmten Rechtsbegriffe „Geschlechtsidentität“ und „nichtbinär“ für eine beliebige Änderung des Geschlechtseintrags im Personenstandsregister verstößt gegen die rechtsstaatlichen Grundsätze der Normenbestimmtheit und Normenklarheit und hat damit Missbrauchspotential.

Die absehbaren Folgen für Frauen sowie Eingriffe in die Rechte von Eltern und die drakonischen Bußgeldandrohungen für Alle bei Verletzung des Offenbarungsverbots sind gravierend:

  • Der Geschlechtseintrag im Personenstandsregister verliert seine Beweisfunktion. Damit wird die Durchsetzung geschlechtsbasierter Rechte von Frauen und Mädchen nach Art. 3 Abs. (2) Grundgesetz erschwert, wenn nicht unmöglich gemacht.
  • Die vorgesehenen Regelungen für geschlechtsspezifische Räume und gesellschaftliche Teilhabe von Frauen und Mädchen (Hausrecht, Länderkompetenz, Strafrecht, private Satzungshoheit) sind für deren Schutz und gesellschaftliche Teilhabe ungeeignet.
  • Rechte für Frauen bei der Besetzung von quotierten Stellen im Berufsleben sind fortan mit Männern zu teilen, welche einen weiblichen Geschlechtseintrag im Personenstandsregister haben. Damit wird insbesondere die Frauenförderung im öffentlichen Dienst, für die Feministinnen hart gekämpft haben, konterkariert.
  • Der besondere Diskriminierungsschutz nach Art. 3 Abs. (2) GG wird ausgehöhlt.
  • Statistiken über die Verteilung der biologischen Geschlechter werden unbrauchbar, zumindest erheblich verzerrt. Außerdem werden auf der Statistik beruhende Prognosen, Gutachten und Maßnahmen gegen Diskriminierung erschwert oder unmöglich gemacht.
  • Elternrechte nach Art. 6 Abs. (2) Satz 1 GG und das Kindeswohl werden verletzt:
  • Die Ersetzung der Zustimmung der sorgeberechtigten Eltern zum Antrag auf Änderung des Geschlechtseintrags einer/eines Minderjährigen ab 14 Jahren durch das Familiengericht ohne zwingende Einholung zweier jugendpsychiatrischer Gutachten schränkt das Elternrecht nach Art. 6 Abs. (2) Satz 1 GG unverhältnismäßig ein und verstößt gegen das Kindeswohl.
    • Die vom Geschlechtseintrag abhängige Bestimmung der „Vaterrolle“ in § 1592 Nr. 1 und 2 BGB verstößt gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien der Normenwahrheit und Normenklarheit und gegen das Kindeswohl.
  • Sanktionsbewehrtes Offenbarungsverbot
    • Meinungs- und Pressefreiheit (Art. 5 Abs. (1) Satz 1 und 2 GG) werden unverhältnismäßig beschnitten.
    • Die Ausnahmen vom Offenbarungsverbot sind im Einzelnen nicht immer nachvollziehbar und verstoßen gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien der Normenwahrheit und Normenklarheit.
    • Tatbestandliche Unklarheiten bei offenkundigem Augenschein (Hausrecht, Meinungsäußerung) verstoßen gegen die rechtsstaatlichen Prinzipien der Normenwahrheit und Normenklarheit und, da sie besonders zu Lasten der Frauen gehen, gegen Art. 3 Abs. (2) und Art. 5 Abs. (1) GG.
    • Der „Chilling-Effekt“ einer hohen Bußgeldbewehrung ist eine staatliche Maßnahme, welche zu Selbstzensur, Einschüchterung und konformistischem Verhalten führt und als drakonische „Abschreckung“ mit Art. 5 Abs. (1) GG nicht vereinbar ist, weil sie einen Angriff auf die Demokratie darstellt.

Empfehlung:

  • Erforderlich wäre eine Ausbalancierung der Grundrechte von Personen mit abweichender Geschlechtsidentität nach Art. 2 Abs. (1) in Verbindung mit Art. 1 Abs. (1) GG einerseits mit dem Grundrecht von Frauen und Mädchen nach Art. 3 Abs. (2) GG andererseits nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz. Das Grundrecht des Art. 3 Abs. (2) GG ist dabei ebenso zu beachten wie die Regelungen zur Wehrpflicht nach Art. 12a GG. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
  • Um Art. 3 Abs. (2) GG eine maximale Wirkung zu verschaffen, wäre es erforderlich, die Validität des Geschlechtseintrags zum Schutz von Frauen und Mädchen durch Beibehaltung des rechtsgestaltenden Verfahrens nach § 4 Abs. 3 TSG aufrechtzuerhalten und garantierte und angemessene Ausnahmeregelungen für Frauen zur Gewährleistung von autonomen und Schutzräumen, zur beruflichen Förderung und zur gesellschaftlichen Teilhabe zu schaffen.


Wie geht es mit dem Gesetzgebungsprozess weiter?

Nach dem Ablauf der Verbändeanhörung am 30.05.2023 und ihrer Auswertung durch die beteiligten Bundesministerien (BMFSFJ, BMJ) wird der Referentenentwurf an die Bundesregierung weitergeleitet. Das Kabinett fasst (mit oder ohne Änderungen) einen Beschluss und legt den Gesetzentwurf der Bundesregierung dem Bundestag vor. Nach der ersten Lesung verweist der Bundestag den Gesetzentwurf an die zuständigen Ausschüsse (Familie/Senioren/Frauen/Jugend und Recht), die nach entsprechenden Anhörungsverfahren mit ExpertInnen jeweils einen Beschluss fassen und ihn dem Bundestag mit entsprechenden Empfehlungen für die 2. und 3. Lesung weiterleiten. Am Ende der Debatten erfolgt die Abstimmung über den Gesetzentwurf im Bundestag. Im Fall einer mehrheitlichen Abstimmung für das Gesetz wird es an den Bundesrat zur Stellungnahme und sodann an den Bundespräsidenten weitergeleitet, der das Gesetz unterzeichnet, wenn er keine verfassungsrechtlichen Bedenken hat. Nach seiner Veröffentlichung im Bundesanzeiger tritt es in Kraft.
Der Zeithorizont für das Gesetzgebungsprocedere ist offen.

Autorin: Gunda Schumann © Rechtsanwältin, Ass. Jur., LL.M.eur., M.C.J., Dipl. Soz.

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