01. August 2021

Trans und Frauensport

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) hat bereits 2015 trans Personen unter bestimmten Bedingungen im Frauensport zugelassen (Testosteron < 10 nanomol/l Blut).

Die Richtlinien sollen zwar demnächst im Hinblick auf Sicherheit, Fairness und Inklusion überarbeitet werden, aber das ist für den prominentesten Fall bei den Olympischen Spielen in Tokio, Laurel Hubbard, irrelevant, der am 2.8.2021 beim Gewichtheben (Schwergewichtsklasse für Frauen) antrat. Wettbewerberinnen sehen das kritisch.

PD Dr. Ursula Baumann erklärt, was die “Inklusion” von trans Personen im Frauensport mit Doping zu tun hat:

Überlegungen zu Trans* und Leistungssport

Auch wenn man sich, wie ich, nur sehr wenig für professionellen Leistungssport interessiert, lassen sich anhand der Trans- (und Intersex-) Frage im Sport grundsätzliche Aspekte des Themas beleuchten. Dies wird deutlich auf der Folie des Doping-Problems.

Doping meint hier nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch die Verwendung von Substanzen und Methoden, die – so die herrschende Lesart – irgendwie nicht regelkonform sind, dazu gleich mehr.

Vergegenwärtigen wir uns zunächst, dass es in den besonders dopinglastigen Sportarten immer darum geht, mit einem Minimum an zeitlichem Aufwand  ein (unterschiedlich festgelegtes) Maximum an Raum zu überwinden – schneller zu laufen oder zu schwimmen, weiter oder höher zu springen als die Wettbewerber oder stärker zu sein, also eine größere Last auf bestimmte Weise bewältigen zu können. Im Unterschied zu Leichtathletik und zum Gewichtheben scheint Doping bei den Sportarten von geringer Relevanz, bei denen es um Koordination, Treffermaximierung oder Positionserzwingung geht, z.B. Ballspiele, Fechten und Kampfsport. Das liegt offenbar daran, dass bei diesen komplexeren körperlichen Anforderungen mit Doping-Maßnahmen bis jetzt offenbar nicht so viel zu machen war, von einer allgemeinen Steigerung der Kondition mal abgesehen.

Der professionelle Leistungssport lebt von der Idee, dass hier ein fairer Wettbewerb ausgetragen wird, der Ungleichheit der Ausgangsbedingungen bewusst zulässt, aber in einer geregelten Weise; so wird z.B.  in den Kampfsportarten nach Gewichtsklassen differenziert und in den allermeisten Sportarten eben auch zwischen Männern und Frauen. Entgegen mancher feministischen Hoffnung in der Frühzeit ist – zumindest meinem Wissen nach – der Leistungsabstand zwischen Männern und Frauen in der Leichtathletik nach einem gewissen Aufholen der Frauen jetzt schon lange konstant geblieben. (Habe das jetzt aber nicht recherchiert).

Im Sport spielt trivialerweise der biologische Körper eine Hauptrolle und im Sport werden ganz ungeniert biologische Vorteile prämiert. Denn auch wenn Erfolg im Leistungssport nur durch hartes Training erreicht wird, ist völlig unbestreitbar, dass hier genetische Faktoren eine zentrale Rolle spielen. (Eine der Erfolgsgeheimnisse des DDR-Sports war neben dem Doping  eben auch, dass hier flächendeckend in den Schulen die Kinder getestet und vermessen wurden im Hinblick auf ihre eventuelle Eignung für Leistungssportprogramme.)

Die Prämie auf biologische Exzellenz ist nicht ganz so trivial, wenn man sich vor Augen hält, dass das in anderen sozialen Bereichen mitnichten der Fall ist. So lehrt einer der wichtigsten Sozialtheoretiker des ausgehenden 20. Jahrhunderts, John Rawls (1921-2002), dass die sogenannte „Lotterie der Natur“ von der Gesellschaft kompensiert werden muss. Der  überdurchschnittlich intelligente und darüber hinaus betriebswirtschaftlich begabte Informatiker soll via Steuern einen erheblichen Teil von seinem durch seine Fähigkeiten erwirtschafteten Einkommen abgeben. (Allerdings nicht so viel, dass er auswandert oder zur Arbeitsreduktion motiviert wird, weil das, so Rawls, dann wieder für die Gesellschaft nachteilig wäre.) Seltsamerweise gibt es aber keine Forderung dahingehend, dass die Spitzengewinne der Spitzensportler (die Wettbewerbsgelder) reduziert werden müssten, weil die Lotterie der Natur sie quasi unverdient belohne, schließlich haben doch auch die Viert- oder Fünftplatzierten ebenso hart trainiert…Und oft geht es ja nur um Zehntelsekunden

In gewisser Weise gilt im Leistungssport genau das, was in der gesellschaftlichen Zivilisation zunehmend verpönt ist, dass man ganz ungehemmt biologische Vorteile ausspielen darf, aber eben in zivilisierter Reglementierung.

Mischen mehr oder auch weniger auf weiblich getrimmte Transfrauen im Frauensport mit, beobachten wir das interessante Phänomen, dass jetzt plötzlich biologische Vorteile mittels einer rein sozialen Konvention („ich laufe jetzt als Frau“) ausgespielt werden können – ein quasi magischer Vorgang. J

Der gesunde Menschenverstand liegt meines Erachtens richtig, wenn er sagt, dass man den Frauensport eventuell kaputt macht, wenn man Transfrauen da einfach unter den selben Bedingungen mitmachen lässt. Das Problem gibt es im Männersport nicht, weil da zwar vereinzelt auch Transmänner mitmachen, aber keine „natürlichen Vorteile“ haben – so viel wieder zum Thema, dass das biologische Geschlecht nur ein soziales Konstrukt ist! (Meines Wissens gab es in einer eher „soften“ Kampfsportart schon mal den Sieg eines Transmannes. Da beim Zweikampf nach Gewichtsklassen eingeteilt wird und vor allem Koordination, Beweglichkeit und Nervenstärke den Ausschlag geben, ist so ein Ergebnis nicht besonders verwunderlich, dürfte aber selten bleiben.)

Mit den Begründungen für die Aussage des common sense wird es aber dann ein bisschen schwierig. Und hier liegt die Verbindung zur Doping-Problematik. Was gilt am Doping für moralisch verwerflich? Hier wird mit Fairness und Natur argumentiert.

Fangen wir beim Standard-Argument Fairness an. Als unfair gelten Vorteile im Sport, wenn sie irgendwie „künstlich“ erzeugt sind. Offenbar soll es im Sport irgendwie immer so ganz natürlich zugehen. Es gibt aber Doping-Methoden, die natürliche Trainingsmethoden substituieren (Höhentraining z B.). Und: Wie „natürlich” sind die Methoden im Hochleistungstraining?

Wie rechtfertigt man, dass natürliche Vorteile nicht unfair sind? Richtig ist, dass wir an die Natur sinnvollerweise keine ethischen Maßstäbe anlegen. Aber warum ist es nicht legitim, wenn ein Läufer, dessen Ober- und Unterschenkelmaße nicht so ideal wie bei Usain Bolt sind, da irgendwie chemisch etwas nachhilft? Was kann Schwimmer A dafür, dass er nicht so große Füße hat wie M. Phlebs?

Wie erwähnt, propagieren wir ja  ansonsten in Politik und Gesellschaft (eventuell mittlerweile  im Übermaß), dass die Lotterie der Natur sozial kompensiert werden muss.

Unbestritten ist, dass Doping nur in Kombination mit sehr fleißigem Training die großen Erfolge bringt. Könnte also Doping nicht moralisch legitim sein, weil es  gerade nicht als individuelle Leistung anzurechnende natürliche Vorteile kompensiert?

Meine Auffassung: Das Doping-Verbot lasst sich unter Berufung auf Fairness und Natur nicht rechtfertigen.

Ein Blick auf die Realität des professionellen Leistungssports:

Es sind privatrechtliche Verbände (NADA und WADA), die ausgestattet mit dem Interpretationsmonopol, was als Doping (nicht) zu gelten hat, das Doping-Kontroll-Regime ausüben. Sie setzen die Grenzwerte (Substanzen, Hormone), die nicht überschritten werden dürfen. Man kann davon ausgehen, dass die Praxis der allermeisten Profisportler darin besteht, sich an die Grenzen „ranzudopen“; solange der Grenzwert nicht überschritten wird, ist das völlig legal. Dabei müssen sich die Athletinnen und Athleten einer sehr feinmaschigen Kontrolle mit massiven Eingriffen in ihre Intimsphäre unterziehen. Vom vermutlich ziemlich omnipräsenten Problem der Korruption abgesehen gibt es natürlich bei dem Ganzen noch den Hase-Igel-Wettlauf: Die Medizin ist erfinderisch, neue noch nicht bekannte Dopingmethoden auszuprobieren.

Erwiesen ist, dass professionelle Leistungssportler sehr oft bereit sind, auch ihre Gesundheit für den sportlichen Erfolg aufs Spiel zu setzen bzw. zu opfern.

Ich vermute mal mit sehr viel good will, dass die Grenzwerte gesetzt wurden, um zu viele schwere Krankheits- und Todesfälle bei Spitzensportlern zu vermeiden, vermutlich, weil der Profisport diese Skandale als geschäftsschädigend fürchtet.  Es gab diesbezüglich in den 1970er und 1980er Jahren hässliche Schlagzeilen, noch in den späten 1990er Jahren den überraschenden Tod der 38-jährigen US-Sprinterin mit den langen Fingernägeln.

Die einzige halbwegs haltbare Begründung für das Dopingverbot ist m.E. die, dass man damit eine gesundheitlich ruinöse Eskalation im Interesse der Sportler (und ihrer Vermarkter!) zu vermeiden versucht. Dass das Vermarktungsinteresse hier möglicherweise vorherrscht, lässt sich vielleicht dem Umstand entnehmen, dass vernünftige Vorschläge zur Liberalisierung des Doping nie auch nur ansatzweise Gehör fanden. Die Liberalisierung könnte z B. so umgesetzt werden, dass sie mit einer Transparenzpflicht einhergeht. Die Gesellschaft ist nach meiner Meinung berechtigt, zu wissen, wie welche sportlichen Höchstleistungen zustande kommen. Die Compliance der Profis könnte man damit sichern, dass sie, abgesehen von lebenslänglicher medizinischer Betreuung, ihre Prämien bekommen, unabhängig davon, wie die Leistung zustande kam, bei Verstoß gegen die Transparenz aber massive Strafgebühren und Entzug sämtlicher Prämien folgen würde.

Diese Liberalisierung hätte gesellschaftlichen Nutzen und würde neues medizinisches Wissen generieren. Sie wird aber nicht stattfinden: Die Lüge vom „sauberen“ Sport wäre entlarvt, was z.B. auch manche Eltern vielleicht davon abhalten würde, ihren Kindern eine Karriere als Profis nahezulegen.

Wenn man realisiert, dass wir es bei Transfrauen im Sport mit Wettbewerberinnen zu tun haben, die in gewisser Weise gedopt sind, stellt sich die Frage nach der Bewertung und dem Umgang mit diesem „gender-doping“, bei dem die zu Transmännern mutierten biologischen Frauen ebenso benachteiligt sind wie die biologischen Frauen, die jetzt plötzlich mit mehr oder weniger kaschierten biologischen Männern konkurrieren. Diese Frauen können sich mit Recht beschweren, weil da eine Grenzziehung willkürlich verschoben wurde und sie dadurch Nachteile erleiden. Die bisherige Lösung, dass Transfrauen ihre Hormonwerte auf die bei biologischen Frauen gerade eben noch möglichen Grenzen zu regulieren haben, ist wohl sehr manipulationsanfällig und scheint die biologischen Vorteile der Männer in der Leichtathletik nicht hinreichend auszubremsen.

Einen ähnlich gelagerten Fall bekommen wir seit Jahren am Beispiel der Inter-Frau Caster Semenya mit. Als Frau aufgewachsen und sozialisiert wurden bei ihr Hoden im Bauchraum diagnostiziert. Sie wurde dazu „verurteilt“, mittels Hormoneinnahmen bestimmte Grenzwerte einzuhalten, wenn sie weiterhin an Frauenwettbewerben teilnehmen will. Sie beschwert sich gegen diese Auflagen, weil sie laufen will, wie sie von Natur ist, „von Gott geschaffen wurde“. Sie könnte ja sagen: M. Phlebs durfte mit seinen großen Füßen schwimmen, Vorteil der Natur, warum ich nicht mit Hoden im Bauch, auch nur ein Vorteil der Natur. (Bei Inter wird so schön der Bullshit mit dem Konstruktcharakter des biologischen Geschlechts offensichtlich, abgesehen von dem Denkfehler, dass Ein Begriff (Frau – Mann), der „faserige“ Ränder hat (die Existenz der Inter), deshalb eben noch lange nicht aufhört, eine valide, in unserem Fall sogar empirisch fassbare, Kategorie zu sein).

Ich kann zwar gut verstehen, dass Caster Semenya sich keine Hormone zuführen will, aber:

Wir machen die Einteilung in Frauen- und Männersport aus nachvollziehbaren Gründen, ähnlich wie die Einteilung in Gewichtsklassen bei den Kampfsportarten. Innerhalb dieser etablierten Klassifikation sind große Füße, ideale Beinproportionen usw. natürliche Gaben, die eben als solche hingenommen werden; nicht aber die sehr selten vorkommenden Inter-Merkmale, es gibt ja schließlich den Männersport und in Anbetracht ihrer natürlichen Hormonwerte wäre Caster Semanya dort passender. Allerdings könnte man einwenden, dass sie lebenslänglich als Mädchen/Frau behandelt wurde, ihre biologische Besonderheit unfreiwillig ist und die Interfrauen mit männlichen Vorteilen verschwindend selten sind, man sie also mitlaufen lassen sollte.

Dieses Plädoyer für Großzügigkeit in einem tatsächlichen Einzelfall lässt sich aber gerade nicht auf Transfrauen übertragen.  Hier könnte die Siegesprämie ein Anreiz sein, zunehmend unter falscher Flagge zu segeln; das wäre dann vergleichbar mit den Schwergewichten, die jetzt plötzlich auch gegen Leichtgewichte kämpfen dürfen.

Das Problem ist natürlich, dass es zu wenige Inter- und Transleute gibt, eigene Wettbewerbe lohnen sich da einfach nicht. Meine Vermutung ist, dass sich die Sache in längerer Sicht selbst reguliert. Zu viele Transfrauen im Profisport kämen beim breiten Publikum nicht so gut an, bei internationalen Wettbewerben ohnehin nicht. Wenn die biologische Grenzziehung wieder gelten soll, wäre m.E. dringend darauf zu achten, dass sie am Chromosomensatz orientiert ist. Anderweitig droht die Gefahr einer antiemanzipatorischen  Fixierung auf die ausgeprägt weiblichen Körpermerkmale —.

Anmerkung: Als vor einigen Jahren ein westlicher Journalist (vermutlich war es anlässlich der olympischen Spiele in Peking) kritisch bemerkte, dass die chinesischen Schwimmerinnen doch arg tiefe Stimmen hätten, blaffte ihn der chinesische Sportfunktionär an: „Die Frauen sollen schwimmen und nicht singen“. – Ob sich auf Mandarin auch so ein ulkiger Reimeffekt ergibt, muss ich noch in Erfahrung bringen.

Mein Vorschlag (als Denkmodell): Die ideale Lösung (ein Horror für die Sportvermarkter) wäre, Einteilung nur noch nach Gewicht, Hormonstatus, Muskelmasse usw. zuzulassen. Die Sportwelt würde dann allerdings sehr sehr kompliziert, was vermutlich niemand will und die Erfolge der Transfrauen würden dann sehr schrumpfen.

Nicht vergessen: Beim Profisport geht es v.a. um Geld!

Wenn man die Auffassung vertritt, dass jede – eben auch die besondere sportliche – Begabung ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Förderung verdient (über das Ausmaß und die Verteilung gesellschaftlicher Ressourcen sollte aber kritisch diskutiert werden), muss man auch dafür eintreten, dass die Wettbewerbsbedingungen einschließlich der Klassifikationen transparent und in sich vernünftig zu begründen sind. Bei Disziplinen, in denen die Biologie die zentrale Rolle spielt, ist ein irre gewordener Sozialkonstruktivismus vollends absurd.

Der Text basiert auf einem Vortrag, den die Autorin im November 2020 auf Einladung der Gruppe “Berliner Arbeitsgruppe fürt die geschlechtsbasierzten Rechte von FrauenLesben” gehalten hat.

Autorin: PD Dr. Ursula Baumann ©

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